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Wie gesund ist unsere Normalität?

  • Autorenbild: Tanni Hslr
    Tanni Hslr
  • 16. Jan.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Jan.

Schon lange habe ich mich gefragt, wie ‚Normalität‘ eigentlich definiert wird. Erich Fromm und Jorge Bucay haben mich dazu gebracht, genauer hinzuschauen. Vielleicht inspirieren ihre Gedanken auch euch, die Dinge mal aus einer anderen Perspektive zu sehen.


Wie gesund ist unsere Normalität?

Erich Fromm formulierte 1956 in seinem Buch Die Kunst des Liebens eine fundamentale Kritik an der modernen Gesellschaft. Er schrieb: "Die Normalen sind die Kränksten und die Kranken die Gesündesten." Ein zunächst provozierender Gedanke.

Fromm argumentiert, dass Menschen, die Symptome entwickeln, eigentlich die Gesünderen sind. Warum? "Der Mensch, der krank ist, zeigt, dass gewisse menschliche Dinge bei ihm noch nicht so unterdrückt sind, dass sie in Konflikt mit den Mustern der Kultur kommen." Diese Friktion erzeugt Symptome – ähnlich wie Schmerz ein Signal ist, dass etwas nicht stimmt. „Glücklich der, der ein Symptom hat. Wie glücklich der, der einen Schmerz hat, wenn ihm etwas fehlt. Wir wissen ja, wenn der Mensch keine Schmerzen empfinden würde, wäre er in einer sehr gefährlichen Lage.“

Aber die "Normalen", so Fromm, haben sich so angepasst, so entfremdet, dass sie keinen inneren Konflikt mehr verspüren. Sie leben als Roboter, als Instrumente, in einer Welt, die nur noch die Produktion und den Konsum als Lebensziel kennt. Hier liegt ein Kernproblem: Wir haben gelernt, Schmerz und Unwohlsein als Störfaktoren zu sehen. Aber was, wenn diese Signale uns helfen, die Wahrheit über uns selbst zu entdecken? Fromm erinnert uns daran, dass das eigentliche Ziel nicht das Funktionieren ist, sondern das Menschsein.

Und genau hier knüpft Jorge Bucay an.

Er hinterfragt eine der tiefsten Überzeugungen unserer Gesellschaft: "Es zählt nur das, was wir durch Anstrengung erreicht haben." Diese Regel wird uns schon als Kind eingebläut. Bucay lädt uns ein, eine radikale Frage zu stellen: Was wäre, wenn wir diese Regel außer Kraft setzen?

Wie würde ein Leben aussehen, das nicht von unaufhörlicher Anstrengung, Leistung und Streben nach "mehr" bestimmt ist? Er spielt mit der Idee eines Lebens, das sich nicht ständig um das "Höher, Schneller, Weiter" dreht.


  • Eine 4-Tage-Woche und darauf verzichten, mehr Geld zu verdienen?

  • Unrasiert durch die Welt spazieren?

  • In einem Meeting laut fragen, warum wir das überhaupt machen?

  • Oder einfach mal Nein sagen, wenn alle Ja schreien?


Es klingt zunächst wie eine Provokation, aber Bucay schlägt vor, dass wir in diese Haltung hineinschlüpfen – wie in ein neues Paar Schuhe. Vielleicht passt es uns besser, als wir denken.

Wenn wir Fromms und Bucays Gedanken verbinden, entsteht eine spannende Dynamik: Fromm zeigt uns die Gefahr der Anpassung und Entfremdung auf, Bucay lädt uns ein, alternative Wege zu erkunden. 


Tanja Heisler - Heilpraktikerin für Psychotherapie, Paartherapeutin
Nairobi - Kenia 2024

Die Frage, die sich daraus ergibt, lautet:

Wie können wir ein Leben führen, das wirklich uns selbst gehört?

Ein Leben, das nicht den Regeln der Produktion und der Anstrengung unterworfen ist, sondern das sich am Menschsein orientiert?

Vielleicht liegt die Antwort in der Bereitschaft, Unbequemes zuzulassen. Den Schmerz zu fühlen, den Fromm beschreibt, und die provokativen Fragen zu stellen, die Bucay aufwirft. Vielleicht ist es der Mut, das "Normale" zu hinterfragen und sich zu fragen:

Was will ich wirklich? Wer bin ich, wenn ich nicht funktioniere, sondern einfach nur bin?

Das Schöne an diesen Fragen ist: Sie haben keine endgültige Antwort. Sie laden uns ein, immer wieder neu zu denken, zu fühlen und zu entdecken. Denn vielleicht liegt das Geheimnis eines erfüllten Lebens nicht in den Antworten, sondern in der Kunst, die richtigen Fragen zu stellen.


Verwendete Bücher:

Erich Fromm: Die Kunst des Liebes

Jorge Bucay: Komm, ich erzähl dir eine Geschichte

 
 
 

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