Gesunde Elternschaft – ein Geschenk der Freiheit
- Tanni Hslr

- vor 3 Tagen
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Eines der größten Geschenke, das ich von meinen Eltern bekommen habe, ist etwas, das sie mir nie gegeben haben: Druck.
Vielleicht erklärt das auch, warum mein Master im Fernstudium ganze sechs Jahre gedauert hat.
Man könnte sagen, ich habe gründlich studiert. Sehr gründlich.
Es war nicht nur der fehlende Druck, sondern auch das Fehlen eines klaren „Wofür“. Nebenbei habe ich immer gearbeitet – das gab mir die Freiheit, vieles auszuprobieren und in unterschiedliche Branchen hineinzuschnuppern. Und so pendelte ich oft zwischen zwei Polen: dem Gefühl einer grenzenlosen Freiheit – und der Frage, ob ich mich nicht vielleicht doch ein bisschen verloren hatte.
Ich habe oft darüber nachgedacht, wie prägend es ist, wenn Eltern nicht die Erwartung haben, dass man einer bestimmten Vorstellung entsprechen muss – wenn sie kein Drehbuch für das Leben ihres Kindes haben. Therapeutisch betrachtet ist das eine zutiefst nicht-narzisstische Form von Elternschaft: die Fähigkeit, ein Kind nicht als Verlängerung des eigenen Selbst zu benutzen, sondern ihm ein eigenes Selbst zuzugestehen. Stattdessen schenken sie etwas so Kostbareres: die Freiheit, herauszufinden, wer man ist, ohne es von Anfang an wissen zu müssen.
Meine Eltern haben mir genau dieses Vertrauen entgegengebracht. Sie haben mir zugetraut, meinen eigenen Weg zu finden – selbst wenn dieser nicht gradlinig verlief, aus teils ungemütlichen Umwegen, unverhofften Neuanfängen und Richtungswechseln bestand. Manchmal fühlte sich das wie ein Leben als Tagelöhner an: eine Zeit lang ein Beruf, dann ein völlig anderer. Ohne festgelegtes Ziel, ohne vorgegebene Marschrichtung. Vielleicht hat mich genau das gelehrt, flexibel zu bleiben – eine Eigenschaft, die in einer Welt, die sich ständig verändert, meiner Meinung nach besonders wertvoll ist.
Freiheit fühlt sich anscheinend nicht immer nach Freiheit an. Manchmal wird sie verwechselt mit Orientierungslosigkeit, Angst oder dem Gefühl, verloren zu sein. Gleichzeitig weiß ich, dass diese Form von Freiheit ein großes Privileg ist – eines, das vielen Menschen verwehrt bleibt, und das mir erst heute in seiner Tiefe bewusst wird. Lange habe ich nicht verstanden, dass gerade dieses Nichtwissen, was als Nächstes kommt, kein Mangel ist, sondern ein Raum – ein offenes Feld voller Möglichkeiten.
Erst mit den Jahren habe ich gelernt, diese Ungewissheit nicht nur auszuhalten, sondern sie zu schätzen. Ich habe gelernt, darin Frieden und Freude zu (emp)finden. Heute bin ich sehr dankbar, keinen starren Plan gehabt zu haben – und dafür, dass meine Eltern mir so viel Vertrauen entgegengebracht haben, dass ich meinen eigenen entwickeln durfte – einen Plan, der keiner war.
Vielleicht ist es genau das: Eines der größten Geschenke, die Eltern machen können, ist, ihrem Kind zu erlauben, sich manchmal verloren zu fühlen – und ihm zugleich das Vertrauen mitzugeben, dass es sich selbst wiederfindet – mal mit mehr und mal mit weniger/ohne Hilfe. Immer und immer wieder.
Vielen Dank, Mami und Papi, dass ich mich manchmal verloren fühlen durfte – es aber nie wirklich war – dafür bin ich unendlich dankbar.
Alles Liebe zum Geburtstag, Mami!



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